An einem Tag, der blöder nicht hätte laufen können, wollte ich wenigstens Ingo noch ein Highlight gönnen und eine Runde mit ihm ganz alleine Gassi gehen. Der Dicke genießt es dabei unendlich, meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben. Kein respektloses Malikind, das ihm ständig von hinten in die Hacken kneift und kein hütendes Hörnchen, das ihm unablässig frontal ins Gesicht kläfft, wenn er wieder einmal etwas eingehender seine Umgebung erschnüffeln möchte. Bei solchen Runden zeigt er sich immer ungewöhnlich aufmerksam und kooperativ. Schließlich sind die Chancen auf ein paar Leckerlis auch wesentlich größer, wenn kein belgischer Raptor ihm die Brocken vor der Nase wegschnappt, die er aufgrund seiner schlechter werdenden Augen wieder nicht fangen konnte.
So fuhren wir an den Ortsrand und zogen mit reichlich Motivationsmittel und Schleppleine los. Über einer Kuppe, noch nah beim Auto, sah ich relativ weit entfernt ein Paar entgegenkommen. Da sie mich offenbar auch gesehen hatten und sie keinerlei Anstalten machten, einen eventuell vorhandenen Vierbeiner einzusammeln, liefen wir weiter. Plötzlich kam ER in unser Sichtfeld und zweifellos hatte ER uns ebenfalls gesichtet und tat was ER eben glaubte tun zu müssen. ER setzte zum Spurt auf uns an!!! Alles ging unfassbar schnell. Irgendwie hatte mein Bauchgefühl mir beim Anblick der ersten Haarspitze schon signalisiert: "dreh um und gib Gummi"! Ein Glück, dass wir oft ein Spiel daraus machen - wer zuerst beim Auto ist. Dieser Lauf war mit Sicherheit absolute Bestzeit! Und so konnte ich hinter Ingo um Haaresbreite gerade noch die Autotür zuschlagen, in der ER kläffend und fletschend einschlug. ER war noch kein Jahr alt, vielleicht 30cm hoch und größenwahnsinnige 7kg leicht und sein Name war Lothar. Zumindest seine Menschen schienen diesen Namen zu kennen, denn sie riefen ihn ununterbrochen, wenn auch ohne Erfolg, während die kleine Kackbratze noch immer vor dem Auto auf dicke Hose machte und auch vor mir noch keinen Millimeter bereit war zurückzuweichen. Lothar war wahrlich ein Prachtexemplar von einem Rauhhaarteckel mit einem obendrein, wie ich finde, ziemlich coolen Namen. Ingo zeigte unterdessen im Auto ganz deutlich, dass er wild entschlossen war, mich aus dieser ausweglosen Situation zu retten, bewies ich ihm doch gerade wieder, dass ich alleine unter keinen Umständen überlebensfähig war.
Endlich trafen die Zweibeiner am Auto ein. Und dann kam er, der Spruch, von dem ich dachte, er existiere lediglich noch in Comedy-Sendungen oder auf T-Shirts: "DER TUT NIX, DER WILL NUR SPIELEN". Meine Antwort: "Ich bezweifle, dass er für dieses Spiel den notwendigen Humor mitbringt," sorgte nur für verwirrte Gesichter. Beide waren davon überzeugt, ich hätte Angst um MEINEN Hund gehabt. "Ich dachte, da käme der Schäferhund, der dort unten wohnt. Der ist krank," erklärte Herrchen. "Ja klar," sagte ich, "meiner ist auch krank, nur anders." Ich denke nicht, dass er das wirklich verstand, macht aber nix. Die Frau meinte nur: "Ist doch egal, der hätte so oder so nicht gehört. Is halt'n Dackel." Meine Antwort "OK, für solche Fälle gibt es ja Leinen," konnte man nun gar nicht verstehen. Schließlich macht nur die Leine die Hunde aggressiv. An meinem brüllenden Hund im Auto konnte man das ja nur zu gut erkennen. Und überhaupt, Hunde machen sowas doch ganz gut unter sich aus. Da solle man sich am besten raushalten. Nun denn... vielleicht beim nächsten Mal *grins*... Ihnen auch noch einen schönen Tag... *tztztz... Kopf schüttel*.
Und so ging jeder seiner Wege... mehr oder weniger irritiert. Wenigstens kam Ingo anschließend schnell wieder runter und wir konnten noch eine entspannte Runde genießen. Nachdem er auf Schilddrüsenhormone eingestellt ist, hat sich sein Verhalten wirklich zusehends gebessert. Tausend Dank, Andrea, für diesen Tipp!!!
Die Tage zogen ins Land und nach unseren Morgenrunden fiel mir mehrfach auf, dass unser Master of Disaster in höchster Aufregung, mit gestellter Bürste und hoher Rute in den Garten stürmte und alle möglichen Ecken und Büsche kontrollierte. Ich hatte dafür keine Erklärung. Nachbars Katzen bringen ihn allerhöchstens beim unmittelbaren Sichtkontakt in Wallung. Eines Morgens kam Licht in die Sache: Soa lag im Wohnzimmer und schaute leise knurrend zum Fenster raus. Und siehe da, draußen im Garten drehte einer völlig ungeniert seine Runden und markierte nahezu alles, was seinen Weg kreuzte. Er musste unter unserem katzenfreundlichen Zaun durchgeschlüpft sein und das ganz sicher nicht zum ersten Mal - Lothar!!! Herrchen war derweil völlig relaxt auf der Straße, gemütlich an eine Laterne gelehnt, ins Telefongespräch vertieft und ließ Lothar tun, was ein Dackel eben tun muss. Ich ging raus und versuchte dem Zweibeiner zu erklären, dass da drinnen einer wohnt, der sich dazu berufen fühlt, Haus und Garten von Eindringlingen jeglicher Art freizuhalten. Die lapidare Antwort: "Ja, ja, ich pass schon auf!" Ich kann mir nicht helfen, das klang so etwa wie "Boah, Alte, erzähl's der Parkuhr". So war's wohl auch gemeint, denn ein paar Tage später drehte der kleine Saufarbene wieder ganz unverholen seine Runden durch Ingos Revier. So dachte ich mir, ein kleiner Denkzettel von Soa könne ganz hilfreich sein und allemal gesünder, als von unserem Platzhirsch persönlich gestellt zu werden. Kurz entschlossen gehe ich mit dem schlimmen Kind vor die Tür, damit sie dem Dackeltier eine Abfuhr erteilt. Soa entdeckte den Eindringling natürlich sofort und was dann passierte lässt mich vor Stolz fast platzen: Mein überhaupt gar nicht schlimmes Kind schaut den verblüfften Dackel an, schaut mich an, schaut den Dackel an und setzt sich dann fragend, mit leicht geneigtem Kopf vor mich, um mir zu zeigen, sie hat verstanden was wir zuvor lange geübt hatten! Es ist völlig unnötig, in Frauchens Beisein in unserem Garten irgendwelche Hunde anzublaffen. Sie machte dabei keinen Unterschied ob vor oder hinterm Zaun! WAS FÜR EIN GUTES KIND!!! Somit war die Mission Denkzettel zwar gescheitert, aber ich hatte dadurch unendlich viel mehr gewonnen: Vertrauen in meinen Hund. Und dieses Gefühl ist unbezahlbar! Lothar unterdessen trollte sich letzten Endes dann vor mir. Er muss jetzt einfach damit leben, dass unser Garten umgehend zwar weniger katzenfreundlich, dafür aber umso mehr dackeldicht gemacht wurde :-).